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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.02.2003
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 632/02
Rechtsgebiete: OWiG, StPO
Vorschriften:
OWiG § 33 | |
StPO § 267 |
Beschluss Bußgeldsache gegen J.S. wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 23.04.2002 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 02. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 23.04.2002 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft zu einer Geldbuße von 100,- € verurteilt worden. Außerdem wurde gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.
Nach den getroffenen Feststellungen überschritt der Betroffene am 16.03.2001 gegen 17.41 Uhr mit dem von ihm geführten PKW in Essen innerhalb geschlossener Ortschaft in Höhe des Hauses Kruppstraße 16 die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 36 km/h.
Seine Überzeugung davon, dass der Betroffene die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat, hatte der Amtsrichter wie folgt begründet:
"Der Betroffene hat sich zu dem Vorwurf zunächst nicht eingelassen. Nach in Augenscheinnahme der in der Gerichtsakte befindlichen Lichtbilder hat er seiner Fahrereigenschaft jedoch nicht mehr bestritten und statt dessen die Ordnungsgemäßweit der Geschwindigkeitsmessung in Frage gestellt. Überdies wendet der Betroffene Verjährung ein.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Betroffene jedoch zur sicheren Überzeugung des Gerichts im Sinne der getroffenen Feststellungen überführt. Die in der Gerichtsakte befindlichen Lichtbilder sind in Augenschein genommen worden. Dabei ist der Betroffene als Fahrer des Fahrzeuges am Tattag identifiziert worden. Die Kinn-, Mund-, Nasen-, Haar- und Ohrenpartien des Betroffenen und der auf den Lichtbildern festgehaltenen Person stimmen überein. Der Betroffene hat im übrigen im weiteren Verfahrensverlauf seine Fahrereigenschaft auch nicht mehr bestritten, sondern vielmehr die Ordnungsgemäßweit der Messung in Frage gestellt."
Zu dem erhobenen Verjährungseinwand hat das Amtsgericht ausgeführt, die Verjährung sei vor Erlass des am 06.07.2001 dem Betroffenen zugestellten Bußgeldbescheides der Stadt Essen vom 28.06.2001 durch die Übersendung des Anhörungsbogens vom 02.05.2001 an den Betroffenen gemäß § 33 Nr. 1 OWiG unterbrochen worden. Ausweislich des Verteidigerschreibens vom 11.05.2001 habe der Anhörungsbogen den Betroffenen auch erreicht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Mit der erhobenen Sachrüge wird insbesondere geltend gemacht, die dem Betroffenen vorgeworfene Ordnungswidrigkeit sei bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides verjährt gewesen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zunächst vorläufigen Erfolg.
1. Eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 206 a StPO i.V.m. § 46 OWiG wegen Vorliegens des Verfahrenshindernisses des Eintrittes der Verfolgungsverjährung kommt vorliegend allerdings nicht in Betracht. Denn entgegen der Ansicht der Verteidigung war die Verfolgung der dem Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit vom 16.03.2001 zum Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides der Stadt Essen am 28.06.2001 noch nicht verjährt. Vielmehr wurde die Verfolgungsverjährung, die gemäß § 26 Abs. 3 StVG vor Erlass des Bußgeldbescheides drei Monate betrug, rechtzeitig durch die Versendung des Anhörungsbogens vom 02.05.2001 an den Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen.
Wie sich aus der in den Akten befindlichen Falldatenübersicht vom 15.06.2001 (Bl. 13 d.A.) ergibt, erfolgte die letzte Anhörung des Betroffenen mit Anhörungsbogen vom 02.05.2001. Dieser Anhörungsbogen ist dem Betroffenen vor dem 11.05.2001 zugegangen. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des Verteidigers an das Straßenverkehrsamt der Stadt Essen vom selben Tage, in dem er unter Bezugnahme auf den Anhörungsbogen vom 02.05.2001 die Personalien des Betroffenen mitteilt und zugleich ausführt, dass dieser den Verkehrsverstoß nicht zugebe und derzeit auch keine Angaben zur Sache mache.
Gemäß § 33 Abs. 4 S. 1 OWiG wirkt eine Unterbrechungshandlung allerdings nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Unterbrechungshandlung bezieht. Daraus folgt, dass nur eine gegen eine bestimmte Person gerichtete, nicht aber eine die Ermittlung des noch unbekannten Täters bezweckende Untersuchungshandlung geeignet ist, die Verjährung zu unterbrechen (vgl. BGHSt 42, 283 = NJW 1997, 598). Die Übersendung eines Anhörungsbogens stellt daher nur dann eine die Verjährung unterbrechende Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG dar, wenn sich aus dem übersandten Anhörungsbogen für den Adressaten zweifelsfrei ergibt, dass er als Betroffener angehört werden soll. Maßnahmen, die demgegenüber nur das Ziel haben, den noch unbekannten Tatverdächtigen zu ermitteln, was z.B. der Fall ist, wenn der Halter des Kraftfahrzeuges lediglich als Zeuge eines noch nicht bekannten Fahrers angehört werden soll, vermögen dagegen keine verjährungsunterbrechende Wirkung zu entfalten (vgl. BGH a.a.O.; Beschluss des 2. Senats des OLG Hamm vom 16.11.1999 - 2 Ss OWi 1034/99 -, veröffentlicht in DAR 2000, 83 und VRS 98, 208 m.w.N.).
Im vorliegenden Verfahren stellte die Übersendung des Anhörungsbogens eine Maßnahme dar, die sich gegen eine bestimmte Person richtete, nämlich gegen den der Verwaltungsbehörde zu diesem Zeitpunkt bereits namentlich bekannten Betroffenen, den sie als Täter der von ihr festgestellten Ordnungswidrigkeit ansah. Das Straßenverkehrsamt der Stadt Essen hat auf Anforderung des Senats einen Blankvordruck des an den Betroffenen übersandten Anhörungsbogens - wegen einer Systemumstellung konnte ein Nachdruck des Originalanhörungsbogens aus dem Altverfahren nicht mehr erfolgen - zu den Akten gereicht. Dieses Blankoformular kann entsprechend dem vorgedruckten Text als schriftlicher Verwarn- oder Anhörungsbogen verwendet werden, wobei der Verwendungszweck durch ein Kreuz in den dafür vorgesehenen Feldern kenntlich zu machen ist. Im Anschluss an das Wort "Anhörungsbogen" heißt es "Kurzangaben des Betroffenen, Geb.-Datum: ..., Gb.-Ort:". Sodann ist in dem Blankoformular eine Beschreibung der festgestellten Ordnungswidrigkeit vorgesehen. Diese Textpassage wird eingeleitet mit den Worten, "Ihnen wird vorgeworfen ..." und endet mit den Worten "folgende Verkehrsordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG i.V.m. § 49 StVO bzw. § 69 a StVZO begangen zu haben:". Angesichts des Inhaltes des Anhörungsbogens konnte für den Betroffenen nach Erhalt des Anhörungsbogens am 02.05.2001 kein Zweifel daran bestehen, dass sich das Ermittlungsverfahren gegen ihn als Täter der in dem Anhörungsbogen beschriebenen Verkehrsordnungswidrigkeit richtete. Angesichts des unmissverständlichen Tatvorwurfs, der nach dem Text des Anhörungsbogens gegen dessen Adressaten erhoben wird, rechtfertigt der Umstand, dass der Anhörungsbogen auf der Rückseite nicht nur eine Belehrung über die Rechte des Beschuldigten im Ordnungswidrigkeitenverfahren, sondern auch den Hinweis erhält, der Adressat möge die Personalien des Fahrers mitteilen, sofern er die Ordnungswidrigkeit nicht begangen habe, nicht die Annahme, der Adressat solle nicht als Betroffener, sondern lediglich als möglicher Zeuge in einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt angehört werden soll (ebenso OLG Hamm VRS 98, 208 = DAR 2000, 83; OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 347; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 33 Randziffer 14).
Dass die Übersendung des Anhörungsbogens im vorliegenden Verfahren offensichtlich aufgrund der Feststellung des Betroffenen als Halter des an der hier in Rede stehenden Ordnungswidrigkeit beteiligten Fahrzeuges erfolgt ist - die Verwaltungsbehörde hat mit Verfügung vom 28.05.2001 ihren zentralen Vollzugs- und Ermittlungsdienst unter Hinweis auf die Haltereigenschaft des Betroffenen um Ermittlung und Anhörung des Fahrers gebeten, der zur Tatzeit das Fahrzeug geführt hat -, ändert nichts daran, dass das Ermittlungsverfahren sich unzweifelhaft von vornherein gegen den Betroffenen als Täter der festgestellten Ordnungswidrigkeit gerichtet hat. Für die Frage, gegen wen die Anzeige und der Bußgeldbescheid gerichtet sind und wemgegenüber also die Verjährung unterbrochen ist, spielt es keine Rolle, dass aus der Haltereigenschaft nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden darf, der Halter sei auch Fahrer gewesen. Denn diese Schlussfolgerung fällt in den Bereich der tatsächlichen Beweiswürdigung, während es bei der Frage der Verjährung darum geht, festzustellen, gegen wen sich ein Verfahren gerichtet hat (vgl. OLG Hamm NStZ 1981, 228; ebenso im Ergebnis BayObLG, VRS 75, 218).
2. Das angefochtene Urteil konnte aber keinen Bestand haben, da die getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung nicht tragen.
Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung verlangt die rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung bei der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr, dass das angewandte Messverfahren sowie die in Abzug gebrachte Messtoleranz mitgeteilt werden, um so dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob es sich um ein wissenschaftlich anerkanntes Messverfahren handelt und eine angemessene Messtoleranz in Abzug gebracht wurde (vgl. BGH NJW 1993, 3081; Göhler, a.a.O., § 71 Randziffer 43 ff. m.w.N.).
Im vorliegenden Verfahren enthält das angefochtene Urteil weder Angaben zum angewandten Messverfahren noch zu der berücksichtigten Messtoleranz.
Darüber hinaus halten auch die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer anhand des in der Akte befindlichen Radarfotos einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn sie entsprechen nicht den Anforderungen, die die obergerichtliche Rechtsprechung insoweit an die Darlegung der Identifizierung des Betroffenen in den Urteilsgründen stellt. Danach müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt (vgl. BGH NZV 1996, 157 ff.; Senatsbeschluss vom 23.02.1997 - 3 Ss OWi 1885/97 -). Aufgrund einer solchen Bezugnahme wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe, so dass das Rechtsmittelgericht die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen kann und daher auch in der Lage ist zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil, dass die in der Gerichtsakte befindlichen Lichtbilder in Augenschein genommen worden sind. Dies stellt keine prozessordnungsgemäße Verweisung auf die Beweisfoto i.S.d. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO dar. Ohne eine solche Verweisung muss, da dem Rechtsmittelgericht das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechende ausdrückliche Beschreibung des Fotos die Prüfung ermöglicht werden, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenarten so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. BGH a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es fehlt nämlich jegliche Angabe zur Qualität der Beweisfotos. Diese Angaben können auch nicht durch die Wiedergabe einzelner Identifizierungsmerkmale ersetzt werden, wenn wie hier vom Amtsgericht lediglich allgemein gehaltene Merkmale herangezogen werden, die in den Urteilsgründen nicht näher beschrieben sind. Das Amtsgericht verweist in den Urteilsgründen nämlich lediglich allgemein auf die Kinn-, Mund-, Nasen-, Haar- und Ohrenpartien sowohl der auf dem Foto erkennbaren Person als auch des Betroffenen, ohne diese Merkmale näher zu beschreiben.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Essen zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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